Cover: Little Nightmares: Complete EditionEs ist knapp über ein Jahr her, dass Little Nightmares erstmals veröffentlicht wurde. Seitdem genießt das Spiel Kultstatus, was dazu geführt hat, dass nun auch Switch-Besitzer in den Genuss dieser Indie-Perle kommen dürfen. Und das Beste ist: Die DLCs sind direkt mit dabei, sodass man das Spiel in seiner Gesamtheit erleben kann - eben die "Complete Edition".

Wer, wo, was?
Wir erwachen an einem unbekannten dunklen Ort, voller Metallplatten, Rohre und Lüftungsschächte. Man selbst spielt ein winzig kleines Kind, ausgehungert und gebrechlich. Lediglich ausgestattet mit einem kleinen Feuerzeug und kindlicher Akrobatik, begleiten wir das kleine Kind auf seinem Weg nach draußen, wo lauter Gefahren unseren Junghelden auflauern.

Zu Beginn des Spiels kann zwischen zwei Charakteren "Six" oder "Kid" wählen, die jeweils ihre eigenen Wege beschreiten. Die Geschichte der beiden Charaktere sind an wenigen Knotenpunkten miteinander verwoben, und besonders das Ende von Kids Geschichte stellt einen tragenden Ausgangspunkt für Six' Verlauf der Dinge dar. Insgesamt handelt es sich hierbei aber um zwei komplett verschiedene Routen, die auch größtenteils ihre eigenen Areale beinhalten. Das Spiel versteckt sich hier also nicht hinter Recycling-Faulheit - sehr löblich!
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Es liegt natürlich auf der Hand, dass Six der Hauptcharakter des Spiels ist, allein, weil man von Kids Existenz eigentlich erst erfährt, wenn man ein neues Spiel starten will. Das hängt damit zusammen, dass Kids Route ursprünglich in drei DLCs nachgereicht wurde, die wir als Switch-Besitzer allerdings schon zusammengefügt erhalten. Das ist praktisch für diejenigen, die das Original damals schon gespielt, den DLC aber noch nicht angerührt hatten. So kann man direkt in den neuen Content einsteigen. Und selbst als Einsteiger ist es ebenfalls unwesentlich, mit welcher Route man anfängt: Die Story verlangt zu keiner Zeit Vorkenntnisse aus der anderen Route, erst das Zusammenfügen der Geschehnisse, nachdem man beide Routen beendet hat, eröffnet neue Erkenntnisse. Es sei natürlich erwähnt, dass Kids Route mit einem etwas höheren Schwierigkeitsgrad startet, als Six' Geschichte.
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Von wegen "Die Welt ist klein"... sie ist riesengroß!
Wie schon erwähnt, sind unsere beiden Protagonisten ziemlich winzig. Dinge wie ein kleiner Hocker wirken dadurch im Vergleich ziemlich riesig. Ein Großteil der Rätsel besteht daraus, dass man sich kleinere Gegenstände zunutze macht und beispielsweise zu Kletterhilfen umfunktioniert, sodass man beispielsweise an Türklinken herankommt. Unser Moveset besteht aus Rennen, Springen, Klettern, Ducken, Sachen greifen und sie dann entweder schieben oder werfen. Beide Charaktere verfügen zusätzlich über eine Lichtquelle, Six ihr Feuerzeug, Kid seine Taschenlampe. Man kann zwar nicht viel, aber genau darauf zielt das Spiel ab: Dadurch, dass man immer im Kopf behalten muss, was man kann oder auch bzw. nicht kann, muss man einschätzen können, was momentan vom Spiel verlangt wird. Beispielsweise hatte ich in einem Raum die ganze Zeit versucht, Kisten, Stühle und Tische hochzuklettern, um an einen Schlüssel heranzukommen, bis ich letztendlich realisiert hatte, dass der Schrank mit den Schubladen für meinen Charakter tatsächlich eine Leiter darstellt. Die Umgebung wird clever in das Spielgeschehen integriert und man muss sich immer alles genau anschauen, um zu wissen, wo die Möglichkeiten bei einem Rätsel liegen.
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An Action-Passagen scheut das Spiel allerdings auch nicht zurück. Oder sollte ich besser sagen: Weglauf-Passagen? Dadurch, dass unser Charakter so klein ist, sind wir stets auf der Flucht von riesigen, menschen-ähnlichen Wesen, die uns überhaupt erst in diese missliche Lage gebracht haben. Unser erster Verfolger ist beispielsweise ein merkwürdig deformierter Mann mit länglichen Armen, der einen Verband um seine Augen gewickelt hat und dadurch blind ist, dafür aber Geräusche sofort bemerkt und auch rasant zuordnen kann, woher sie stammen. Jeder Tritt auf Holzdielen ist ein Schritt, der näher zum Tod unseres Charakters führt. Auf Teppichboden können wir uns hingegen relativ sicher bewegen und uns an unseren Verfolger vorbeischleichen.
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Bildschirm-Minimalismus
Aber all diese Sachen werden vom Spiel nicht erklärt und auch nicht direkt demonstriert. Man kann lediglich die Steuerung im Menü nachlesen. Als Spieler muss man diese Mechaniken selbst entdecken und realisieren. An wenigen Punkten, wenn das Spiel merkt, dass man sich länger an einer Stelle aufhält, wird kurz nochmal die Steuerung durch eine kurze Einblendung erläutert, ansonsten kommt das Spiel komplett ohne HUD aus, was viel zur Immersion des Spiels beiträgt. Man betrachtet das Spiel auch stets aus derselben Perspektive, sodass der Eindruck entsteht, man bewege sich durch ein Puppenhaus.
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Die Grafik selbst ist ein echter Hingucker. Dadurch, dass das Spielgeschehen relativ dunkel ist, bemerkt man umso stärker, wie viel mit Lichtverhältnissen experimentiert wird. Auch mit Details wird keineswegs gegeizt. Hier und da tropft es vom Dach, überall liegt Schmutz herum, viele Gegenstände sind halb-kaputt, Schränke und Tische sind mit allerlei verfallener Deko ausgeschmückt und insgesamt ist alles schön malerisch texturiert. Auch bei der Charaktergestaltung wurde nicht vor abgefahrenen grotesken Designs zurückgeschreckt. Dadurch spürt man richtig die einsame, bedrückende Stimmung, die dem Spieler vermittelt werden soll. Insgesamt entsteht der Eindruck eines düsteren, französischen Zeichentrickfilms. Dies wird nochmal durch die Umgebungs- und Charakteranimationen verstärkt, die sich nahtlos ins Spielgeschehen einfügen. Auch der Übergang zwischen Gameplay und Zwischensequenzen ist relativ flüssig, da man viele dieser Sequenzen selbst auslöst, diese Momente auch recht kurz sind und man dadurch nie ganz aus dem Spielgeschehen gerissen wird.
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Dass dieses grandiose Grafikdesign den Sprung hinunter auf die Switch geschafft hat, hat mich schwer beeindruckt. Dieses Spiel bestätigt mir wieder, dass die Switch trotz ihrer Umstände problemlos in der Lage ist, mir dieselben schönen, detaillierten Spielwelten zu präsentieren, die man auf eigentlich technisch überlegenen Konsolen finden kann. Als Dreingabe bekommen wir als Switch-Besitzer zusätzlich HD-Rumble, was in einigen Situationen das Spielgefühl ungemein bereichert. Beim Hochklettern der Leitern spürt man beispielsweise abwechselnd einen Ruckler im linken Joy Con, einen Ruckler im rechten Joy Con. Nichts Weltbewegendes, aber es ist beeindruckend genug, dass man extra daran gedacht hat, dies bei der Switch-Portierung miteinzubauen!
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Ladezeiten zum Aufatmen zwischen den Spielsequenzen gibt es an sich nicht viele, meist lediglich am Kapitelende. Problematisch wird es nur, wenn man einen Fehler macht und die Spielfigur dann bspw. zu tief fällt oder geschnappt wird. In diesem Fall wird man an den letzten Kontrollpunkt zurückgesetzt, was dann gerne mal eine Ladezeit von einer halben Minute bedeuten kann. An besonders hakeligen Stellen kann dies besonders ärgerlich sein, weil der Spielfluss dann darunter leidet. Scheitert man z.B. dreimal, hat man bereits insgesamt anderthalb Minuten, in denen man nur einen Ladebildschirm anstarrt. Auf der anderen Seite erachte ich den Schwierigkeitsgrad des Spiels als relativ fair. Ich hatte bereits gelesen, dass das Spiel zum einen zu leicht sein soll, zum anderen viel Trial & Error beinhalte. Ich konnte allerdings beides nicht feststellen: Rumprobieren existiert durchaus, allerdings selten auf eine Weise, dass der Charakter das Zeitliche segnet. Und auch, wenn der Ablauf des Spiels dann relativ klar ist, so sind insbesondere einige Akrobatikpassagen dann doch selbst für erfahrene Spieler recht knapp bemessen. Auch ich hätte so einige Plattformen nur sehr um eine Haaresbreite verfehlt. Die Steuerung ist zwar verständlich, reagiert allerdings an manchen Stellen ein wenig verzögert. Ob das bewusst so gestaltet wurde, um dem Spieler keine hundertprozentige Sicherheit bei dem, was er macht, zu geben, kann ich spontan nicht beantworten. Das Spiel stellt definitiv eine Herausforderung für diejenigen dar, die noch nicht so intuitiv mit der Steuerung in Videospielen zurechtkommen.
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Die Spielzeit beträgt in beiden Routen etwa drei bis vier Stunden. Man kann eine Stunde jeweils dazu rechnen, wenn man sorgfältig versucht, die optionalen Aufgaben zu erfüllen: Diese bestehen daraus, Statuen zu zerstören bzw. Treibgut zu borgen und sogenannte kleine Wichte zu knuddeln, die man öfter über das Gelände rennen sieht und dem Spieler freundlich gesinnt sind. Und ja, so herzerwärmend, wie es klingt, ist das Knuddeln mit den Wichten auch tatsächlich! Ein kleiner Lichtblick in der ansonsten doch recht tristen und deprimierenden Umgebung des Spiels.
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Horror oder einfach nur gruselig?
Das Spiel wird gerne mal als Horrorspiel vermarktet, und das Spiel birgt zu einem gewissen Grad auch makabre Inhalte wie Galgen, angedeutete Leichensäcke und die Tatsache, dass die Spielfiguren zum Fraß vorgeworfen werden sollen - der Tod ist also allgegenwärtig. Nichtsdestotrotz schafft es Spiel, eine unheimliche und gruselige Atmosphäre zu schaffen, ohne sich dabei hinter billigen Jump Scares oder blutrünstigen Darstellungen verstecken zu müssen, die man gerne mal im Horror-Genre vorfindet. Ich selbst meide dieses Spektrum eher, da ich eigentlich Brutalität in Spielen kaum vertrage: Dies war allerdings ein Spiel, dass bei seiner Grusel-Atmosphäre mit dem Spieler sehr human umgeht, was mich ein Stück weit an "Nightmare Before Christmas" erinnert hat: Sowohl in dem Film, als auch in diesem Spiel geht es weniger um die möglichst grotekse Darstellungen. Viel mehr verkörpert das Spiel typische Ängste von Kindern (eben "Little Nightmares"), die einen noch bis ins Erwachsenenalter verfolgen können. PEGI empfiehlt eine Altersfreigabe von 16, die USK hingegen sagt, dass es schon ab 12 spielbar ist - irgendetwas dazwischen halte ich für ganz angemessen. Umso beeindruckender, dass jemand wie ich, der über schon 20 ist, sich bei diesem Spiel noch ab und zu fast in die Hose machen will. Und da stehe ich auch sicherlich nicht allein mit diesem Gefühl! ...hoffe ich zumindest mal.
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Die Akustik in dem Spiel ist mitunter Träger dieser gruseligen Atmosphäre. Was durch fehlende Brutalität ein wenig verharmlost wirkt, wird durch die Audio-Kulisse definitiv ausgeglichen: Dauernd hört man es knarren oder scheppern, sanfte Schritte und quietschende Türklinken geben einem das Gefühl, verfolgt zu werden, und prasselnde Wassertropfen erschweren es, in aller Ruhe darüber nachzudenken, was als Nächstes zu tun ist - man hat ja doch eben Angst, dass gleich etwas aus dem Nichts kommen könnte. Mitunter eines der besten akustischen Features war für mich das Herzklopfen: Selbst, wenn ich meine Verfolger nicht sehen konnte, so konnte ich es ahnen, dass jemand in der Nähe ist, weil das Herzpochen meines Charakters in diesem Fall immer lauter wurde. So hat man eine paradoxe Mischung aus beruhigender Gewissheit und panischem Verfolgungswahn, die ich sehr gut gelungen finde.
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Fazit
Die Switch-Version steht seinen vorangegangenen Versionen nichts nach, im Gegenteil: Mobilität, HD-Rumble und das Enthalten aller DLCs sind allesamt Faktoren, die für sich sprechen. Das Spiel hat an sich auch eigentlich größtenteils alles richtig gemacht. Es ist nun mal kein riesiges Epos, denn dafür ist die Geschichte zu kurz und die Interaktion zu begrenzt. Für sich alleinstehend beeindruckt das Spiel aber definitiv durch seine audiovisuell gelungene Narrative, in die sich das Gameplay so gut wie nahtlos hineinfügt. Die Immersion in dem Spiel ist durch sein cleveres Spiel- und Grafikdesign unglaublich gut gelungen - ein Erlebnis, wie man es kein zweites Mal bisher gehabt hat. Da sieht man auch darüber hinweg, dass der Preis ein wenig happig sein kann, da das Spiel vielleicht an die zehn Stunden dauert. Diese zehn Stunden haben es aber definitiv in sich!
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Ziehen wir ein paar Prozente wegen der kurzen Spiellänge, den Ladezeiten und ein paar wenigen frustrierenden Gameplay-Passagen ab, so hatte ich immer noch sehr viel Spaß mit dem Spiel. Da spreche ich eine klare Empfehlung für diejenigen aus, die es auf besonders atmosphärische Spiele mit gameplay-technischen Minimalismus abgesehen haben. So satt es auch manche vielleicht haben mögen, wie die Atmosphäre dieses Spiels immer und immer wieder angepriesen wird: Es stimmt einfach!
«Ligiiihh» Singleplayer: 85%

Verfasst von «Ligiiihh» am 25.05.2018,
bemustert durch Bandai Namco
für bis zu 1 Person/en
Release am 18.05.2018