Cover: The Caligula Effect: OverdoseWilkommen in der Matrix
Unzufrieden mit der realen Welt? Wie wäre es mit den glücklichen Jahren der Jugend für den Rest der Ewigkeit? Keine Sorgen der Erwachsenen mehr und einfach das Leben genießen. Die beste Livemusik inklusive. Mit solchen Versprechungen werde ich als stummer Protagonist nach Mobius gelockt. Eine Zwischendimension, erschaffen von zwei Virtuadolls aus dem Metaverse-Es, die einfach nur die Menschen glücklich machen wollen. Doch hinter den Kulissen ist nicht alles rosig und während das Idol μ versucht, diese Dimension aufrecht zu erhalten, kommen ihrer Freundin Aria Zweifel und sie versucht μ davon zu überzeugen, dieses Projekt abzubrechen.

Hier kommt der Go-Home-Club ins Spiel. Eine Gruppe von Schülern, welche die Illusion dieser Welt durchschaut hat und versucht, in die Realität zurück zu finden. Nach meiner recht panischen Erkenntnis der Umstände und dem Zusammentreffen mit Aria, werde ich neuestes Mitglied der Ausreißer und nehme kurze Zeit später sogar den Vorsitz der Vereinigung kampfwilliger Heimkehrer ein. Doch ganz so einfach, μ zu überzeugen, ihre Welt zu verlassen, ist es leider nicht: Wer sich zu einem gewissen Grad in der Abhängigkeit befindet, wird zu einem sogenannten Digihead und tut alles, um seine Überzeugungen und seine Idole zu verteidigen.

Die Macht der Gefühle
Jeder der insgesamt 524 Bewohner Mobius' hat einen eigenen Namen, Verbindungen zu anderen Charakteren, einen Grund für seine Unzufriedenheit in der Realität und somit für die Flucht in diese Welt. Dazu hat jeder noch eine Eigenart, die ich durch Aufbau einer Freundschaft in Erfahrung bringe. Von Masochisten und Sadisten, diversen Phobien und sogar Suizidgefährdung ist hier alles vertreten. Nebenquests bestehen daraus, ihre Probleme zu lösen - auch wenn der Weg dahin etwas dröge ist. Dafür winken Belohnungen, wie passive Fähigkeiten zum Ausrüsten oder permanente Statusboni für meinen Hauptcharakter. Gruppenmitglieder erhalten durch solche Aufgaben sogar eigene, neue Skills. Ferner kann ich fast jeden NPC aktiv in meine Gruppe einladen - muss dies sogar stellenweise tun, um deren Quests zu erfüllen. Sie werden zwar nie das Potenzial eines Hauptkameraden erreichen, aber für eine kleine Erhöhung der Kampfstärke reichen sie allemal.
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Andere Nebenaufgaben werden über das Causality Link oder WIRE gelöst. Ersteres ist eine grafische Darstellung aller Beziehungen der NPCs untereinander, das Zweite ist die Chatsoftware in der Spielewelt. Das heißt, eine aktive Welt wird an dieser Stelle durch Freundschaftslevel und einer Prozentanzeige der Digihead-Verwandlung für jeden Charakter versucht zu erzeugen. Im Spielalltag sieht es leider nur so aus, dass ich mich durch drei Gespräche in Folge mit meinem Gegenüber anfreunde, herausfinde was sein Trauma ausmacht und wie ich es löse. Ab 50% Einfluss durch μ muss ich die Figur erst wieder durch einen Kampf zur Besinnung bringen.
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Ausrüstung im klassischen Sinne gibt es in The Caligula Effect: Overdose nicht. Jeder Kämpfer besitzt drei Ausrüstungsslots, darin kommen aber Dinge wie Wahrheit, Innere Schönheit oder Verlorene Liebe. Gefühle, Empfindungen und Überzeugungen sind in Mobius die größte Macht. Nicht umsonst haben diese uns hergeführt, können den eigenen Geist überwältigen und sogar die äußere Erscheinung beeinflussen, uns gefügig machen, aber auch als Waffe eingesetzt werden. Durch das Kanalisieren der Gefühle meiner Clubmitglieder und mir selbst, ist es Aria nämlich möglich, den Catharsis Effect in uns zu erwecken. Eine individuelle Macht aus unserem Herzen und die einzige Möglichkeit gegen Digiheads und Musicians anzukommen.
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Das etwas andere Kampfsystem
Kommt es zu einer Auseinandersetzung, wird in der Spielwelt eine kreisrunde Arena erstellt. Wände oder andere Hindernisse kommen darin nicht mehr vor, sodass der Raum immer komplett ausgenutzt werden kann und in vielen Fällen ist das bitter nötig. Denn viele Attacken haben einen Angriffsradius, eine Angriffsfläche oder eine gerade Linie, in welcher sie aktiv werden. Andere lassen Figuren zum Zielort sprinten oder Distanz vergrößern und das manuelle Bewegen ist während der Züge ebenfalls möglich und will taktisch angepasst sein. Dazu kommt noch die Unterteilung in Nah- und Fernangriffe, welche wiederum durch dafür vorgesehene Konter unterbrochen werden können. Buffs und Debuffs gehören ebenfalls zum Repertoire und alle Akteure können mithilfe des richtigen Angriffs einem Stun oder Toggle unterliegen. Besonders letzteres ist im Kampf wichtig, da einige Angriffe zusätzlich Combo- oder Schadensboni parat halten, wenn sie einen Gegner in der Luft oder am Boden treffen. Das Spiel bietet im Handlungsverlauf eine große Auswahl an verschiedenen Figuren mit anderen Schwerpunkten, sodass eine Vielzahl an Strategien genutzt werden kann.
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Etwas zu viel für euch? Das ist kein Wunder, denn im Kampf muss sehr oft die Reaktion der Gegnergruppe beachtet werden, um wirklich effektiv vorgehen zu können. Doch glücklicherweise hat The Caligula Effect: Overdose sich da etwas einfallen lassen. Zum Einen kann ich bis zu drei Aktionen in einem Zug aneinanderreihen und so mein Schadens-Output deutlich steigern. Dabei kann ich die Angriffe sogar bis zu einem gewissen Grad verzögern, um vielleicht noch den passenden Konter gegen einen späteren Angriff anzubringen. Nachteil dieser Sache ist natürlich, dass alle Angriffe eine bestimmte Menge an SP benötigen und ich mich somit schnell durch den SP-Pool meines Charakters fresse, was mich eine längere, schutzlose Aktion kostet, um diese wieder aufzuladen. Wird zudem ein Spielcharakter während dem Ausführen einer Aktion verletzt, sind die Folgeangriffe ebenfalls futsch.
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Der andere Aspekt ist nochmals bedeutender. Denn sobald ich eine Aktion ausgewählt habe, sehe ich den Kampfverlauf voraus. Ich kann also nachvollziehen, was der Gegner vorhat und wie ich darauf reagiere. Hier hat besonders das Verzögern meiner Angriffe Bedeutung, um beispielsweise einem in der Luft befindlichen Gegner Extraschaden austeilen zu wollen oder die jeweilige Comboleiste des Gegners auf Maximum zu halten, was ebenfalls einige meiner Attacken beeinflussen kann. Besondere Beachtung verdient allerdings die Trefferwahrscheinlichkeit. Denn in dieser Simulation trifft jede Attacke hundertprozentig. Nur in der linken oberen Ecke wird eine wirkliche Prozentzahl angezeigt und diese habe ich dummerweise oft ignoriert. Was natürlich zu Frust führte, als ich statt befriedigenden Zahlen nur das Wort "Miss" zu lesen bekam und feststellte, dass die gewählte Attacke eh nur zu 7% hätte treffen können... Auch wichtig ist, dass sich die Reaktion der Gegner trotzdem ändern kann. Habe ich zum Beispiel drei meiner Figuren perfekt zum Ausschalten des Bosses platziert und gehe dann mit dem vierten Charakter auf eine andere Position, könnte er dieses Ziel mit gänzlich anderen Mitteln angreifen. Die Wahl einzelner Züge kann ich zwar zurück nehmen, doch ist die Handlung eines Charakters festgelegt, lässt sie sich nicht widerrufen.
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Diese Planung jedes kleinen Schrittes zieht Kämpfe oft ungemein in die Länge. Gerade zu Beginn eines Kampfes, wenn ich allen bis zu vier möglichen Gruppenmitgliedern Kommandos geben muss, artet das ungemein aus. Während des Kampfes relativiert sich das aufgrund der unterschiedlichen Cooldowns wieder etwas. Zwar kann ich jederzeit einen Auto-Modus aktivieren, in dem ich nur meinem Hauptcharakter Anweisungen gebe, doch haben die KI-Partner nicht unbedingt die Weisheit mit Löffeln gefressen. Selten kam so eine gute Kombo zustande und sie setzen auch nur immer eine Aktion zur Zeit ein. Für den Spezialangriff, welchen jeder Charakter durch gefüllte Stress-Leiste ausführen kann, warten sie auf meinen Befehl. Diese Variante ist also wirklich nur für weniger fordernde Gegner zu empfehlen.
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Altlasten und Neuerungen
Ursprünglich erschien das Spiel vor ein paar Jahren auf der PS Vita und das sieht man ihm oft an. Die Charaktermodelle wirken etwas verschwommen, Gesichts- oder Handanimationen sind nicht vorhanden. Im dritten Kapitel gab es dazu ein aufwendiges Außenareal, welches Framerate und Performance eindeutig überanspruchte. Diese unschönen Slowdowns beeinflussten sogar das Kampfsystem und führten bei mir in diesem Gebiet zu zwei Spielabstürzen. Auch der Weltaufbau selbst lässt sich auf die Originalversion zurückführen. Schlauchartige Wege und viele Übergänge zu anderen Bereichen, oder die ewig gleichen Charaktermodelle und Levelassets gehören eher zu speicherschonenden Kompromisslösungen. Immerhin haben wir Struktur und Natur der PS Vita als Handheld die vielen Speicherpunkte zu verdanken, deren zahlreiche Benutzung ich allen nur ans Herz legen kann.
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Dennoch, der Rest weiß eindeutig zu überzeugen. Die japanische Sprachausgabe ist top, die Story hat ein paar äußerst gute Ansichten und Figuren parat und die Musik ist erstklassiger J-Pop. Jedes Dungeon kommt mit einem eigenen Track daher, der im Kampf nahtlos durch Vokals ergänzt wird. Dazu gesellen sich gelegentlich einige paar Anime-Sequenzen - und die lieben wir doch alle. Wer bislang noch keinen Persona-Vibe bei meinen Erzählungen verspürt hat, soll darüber informiert sein, dass sowohl Storyschreiber als auch Hauptkomponist von The Caligula Effect: Overdose bereits für Atlus gearbeitet haben. Einziger Negativpunkt ist doch vielleicht noch die mangelnde Lokalisation, welche sämtliche Texte in englischer Sprache belässt. Der USK-Einstufung von 12 hätte ich allerdings aufgrund der mitunter verstörenden, angesprochenen Themen eh nicht beipflichten können.
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Zusätzlich gibt es noch selten gestreute World Rewards, die gelegentlich von Gegnern fallen gelassen werden. Durch diese drei Passwortteile lassen sich bestimmte Bereiche in der Spielwelt eröffnen. Zusammenarbeit und Kommunikation der Spieler untereinander wird demnach gefordert und gefördert. Da ich nicht gleich bei den ersten drei Einträgen meiner Suchanfrage auf eine vollständige Liste aller Passwörter gestoßen bin, scheint dieses Thema immer noch aktuell zu sein.
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Wer nun das Original gespielt hat, freut sich über zwei Neuerungen. Ein neuer weiblicher Avatar ist zwar nicht die Welt, doch immerhin eine nette Dreingabe. Der zweite Bonus ist dafür um einiges reizvoller: Dem Hauptcharakter wird relativ früh die einmalige Gelegenheit geboten, der gegnerischen Fraktion als Doppelagent beizutreten. Unter neuem Namen und veränderter Optik geht man in diesem Fall an vorgegebene Stellen der Haupthandlung mit ehemaligen Feinden als Verbündete gegen den Go-Home-Club vor. Dieser Twist wartet dementsprechend mit neuen Konversationen und Nebenmissionen, einzigartigen Gruppenmitgliedern und natürlich einer anderen Geschichte auf. Leider ist dies im Spiel nicht gut gekennzeichnet, sodass es sich hierbei um Zusatzinhalt handelt, den ich am liebsten für einen zweiten Spieldurchlauf empfehlen würde. Aber diese Entscheidung bleibt jedem selbst überlassen.
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FAZIT
Dieses herausragende Rollenspiel muss sich dank seiner umfänglichen Geschichte, außergewöhnlich tollen Präsentation und dem einzigartigen Kampfsystem nicht vor den großen Namen des Genres verstecken. Der Wille zur Perfektion lässt die Kämpfe zwar recht langwierig werden und es krankt ein wenig an der Wurzeln seiner Ursprungsversion, doch sollte sich dennoch kein J-RPG-Fan The Caligula Effect: Overdose entgehen lassen. Und selbst Kenner des Originals kommen nochmal auf ihre Kosten. Und auch, wer die Persona-Reihe auf der Switch vermisst, bekommt hiermit eine ausgezeichnete Alternative.
Simon Singleplayer: 86%

Verfasst von Simon am 09.03.2019,
bemustert durch Nippon Ichi Software
für bis zu 1 Person/en
Release am 15.03.2019